Freitag, 6. Dezember 2024

Tiberius möchte zurückkehren

Im Jahr 2 v. Chr. hatte Tiberius vier Jahre auf Rhodos verbracht. Er war 39 Jahre alt, als ihm Augustus mitteilte, er habe in seinem (des Tiberius) Namen seiner Frau Julia (Tochter des Augustus) den Scheidebrief zugesandt. Außerdem verbannte er sie auf die Insel Pandataria vor der italienischen Küste. Gründe dafür waren ihr ausschweifender Lebenswandel und ihre Ehebrüche. Der Kaiser bestrafte auch den Freundeskreis seiner Tochter. Dass Julia kein Kind von Traurigkeit war, war allgemein bekannt in Rom. Wahrscheinlich war ihr lockeres Leben auch ein Protest gegen den Vater gewesen, der sie zum Werkzeug seiner dynastischen Pläne gemacht hatte – dreimal war sie von ihm verheiratet worden. Die dritte Ehe mit Tiberius war nicht glücklich gewesen.

Aber Augustus tat, was typisch für ihn war: er setzte sich durch und opferte sein einziges Kind seiner Politik und seiner moralischen Propaganda, deren Maßstäben er selbst nicht genügte.

Wenn Tiberius über die Scheidung erleichtert war, ließ er sich das nicht anmerken. Er schrieb mehrmals an Augustus und bat um Nachsicht gegenüber Julia. Vermutlich tat er das pro Forma, weil es von ihm erwartet wurde.

Nun war für ihn der Zeitpunkt gekommen, um den Kaiser höflich zu fragen, ob er nach Rom zurückkehren dürfe. Sein Amt als Volkstribun war beendet, und er musste befürchten, ohne Amt auf Rhodos völlig kaltgestellt worden zu sein. Nach eigener Auskunft wollte er seine Verwandten wiedersehen. Wie sollte er sonst argumentieren? Politische Gründe verboten sich von selbst, und auch Julias Verbannung wird er kaum als Grund genannt haben. Doch Augustus antwortete kühl, er solle sich nicht um die Verwandtschaft sorgen, die er so egoistisch verlassen habe.

Seine Mutter Livia half ihm, indem sie von Augustus das Amt eines legatus Augusti, eines Gesandten, für Tiberius erbat. Zwar hatte er keinen konkreten Einflussbereich, aber immerhin ein Amt.

Es sah nun so aus, als müsse Tiberius lange – vielleicht Zeit seines Lebens – auf Rhodos verweilen, und seine politische Zukunft in Rom sei beendet. Man kann sich gut vorstellen, dass ihn diese Prognose bedrückte und er sich nun nicht mehr wie im Urlaub fühlte, sondern wirklich wie in der Verbannung. Wahrscheinlich wurde er auch der Insel überdrüssig.

Im Jahr 1 v.Chr. wurde der Thronfolger Gaius in den Orient gesandt. Er machte Station auf Samos, und Tiberius besuchte ihn dort. Es war wohl ein Akt der Höflichkeit und ein Versuch der Kontaktanbahnung mit dem künftig ersten Mann Roms. Doch der Besuch verlief ergebnislos: Marcus Lollius, ein alter Feind des Tiberius, war Begleiter und Berater des jungen Gaius Caesar und nahm diesen gegen Tiberius ein.

Tiberius musste noch drei Jahre warten, bis er nach Rom zurückkehren durfte. In dieser Zeit gab es wiederholt Vorwürfe gegen ihn, er würde einen Putsch planen, was ihn dazu bewog, für zwei Jahre auf sämtliche Waffenübungen zu verzichten und nur noch griechische Kleidung zu tragen. In einigen Städten wurden seine Bildnisse umgestürzt und es gab Gaius gegenüber Angebote, Tiberius auf Rhodos zu töten, wenn er es befehle.

Über seine Mutter Livia konnte Tiberius dann doch die Erlaubnis zur Rückkehr von Augustus erwirken. Beide schrieben ihm, und die Botschaft kam mit einem Schiff. Der Astrologe Thrasyllos soll es Tiberius so prophezeit haben.

Wahrscheinlich wollte Augustus für alle Fälle Tiberius wieder in seiner Nähe haben, zumal er immer wieder kränklich war und seine beiden Enkel noch jung waren. Doch zunächst durfte sich Tiberius in keinerlei öffentliche und politische Dinge einmischen; er zog auch um, aus der Nähe des Palatin auf den Esquilin, in die Gärten des Maecenas. Doch dann geschah das Unfassbare: im Abstand von nur zwei Jahren starben die beiden Enkel des Augustus, zuerst Lucius und dann Gaius. Und kurz nach dem Tod des Gaius teilte der Princeps seinem Stiefsohn mit, dass er nun erster Kandidat für die Nachfolge sei. Tiberius war 45 Jahre alt, und er fügte sich. Was er dabei fühlte, wissen wir nicht. Dass Augustus noch zehn Jahre leben und regieren würde, ahnte wohl damals niemand.

Literatur:

Holger Sonnabend: Tiberius, Kaiser ohne Volk, Zabern-Verlag, 2021

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