Mittwoch, 20. November 2024

Rückzug des Tiberius nach Rhodos im Jahr 6 v.Chr.

Schon die antiken Autoren hatten Schwierigkeiten, Tiberius zu verstehen, als er sich in der Mitte des Lebens und auf einem Höhepunkt seiner Laufbahn nach Rhodos zurückzog. Das Zerwürfnis mit seiner Frau Julia – zur Vermählung mit ihr war Tiberius gezwungen worden – mag ein Grund gewesen sein. Tiberius gab an, Erholung zu brauchen – das war absolut nachvollziehbar und zumindest ein Grund, den er Augustus gegenüber vorbringen konnte, denn der Princeps musste als sein Stiefvater die Erlaubnis dazu geben. Hatte Tiberius einfach genug vom Stress und der Tatsache, dass Gaius und Lucius Caesar, die Enkel und Adoptivsöhne des Augustus, ihm und seinem Sohn Drusus vorgezogen wurden? Wollte er gar gehen, um dem Kaiser bewusst zu machen, wie schwierig es ohne seine Hilfe sein würde? Ich denke, all diese Gründe spielten eine Rolle. Außerdem liebte Tiberius die griechische Lebensart, die Sprache und Kultur und Bildung, und auf Rhodos würde er für all das Muße haben. Leider hat er sich niemandem anvertraut und man kann letztlich nur Vermutungen anstellen.

Augustus und Livia hatten versucht, Tiberius umzustimmen. Livia soll ihn sogar auf Knien angefleht haben, zu bleiben, und sie hielt sein Vorhaben für einen Fehler. Tiberius aber war entschlossen, trat sogar in einen viertägigen Hungerstreik und Augustus stimmte dann doch zu.

Tiberius ließ Frau und Sohn in Rom zurück und ging in Ostia an Bord. Er soll schweigsam bei seiner Abreise gewesen sein, und verabschiedete sich nur von wenigen mit einem Kuss. Obwohl die Wetterverhältnisse nicht günstig waren, brach er auf.

Er kannte Rhodos bereits. Als er als junger Mann im Auftrag des Augustus die Verhältnisse in Armenien geordnet hatte, machte er während der Rückreise auf Rhodos Station. Die Insel lag an wichtigen antiken Schifffahrtsrouten und es war üblich, in der Nähe von Küsten zu segeln und regelmäßig an Land zu gehen, denn die damaligen Schiffe waren für Passagiere unbequem und hatten kaum Decksaufbauten. Natürlich lockten ihn auch das milde Klima auf der Insel und die Möglichkeiten, Kultur und Bildung zu genießen. Ich kann Tiberius übrigens gut verstehen: nach zwei Aufenthalten dort ist Rhodos für mich eine Sehnsuchtsinsel, obwohl sie sich seit der Antike sehr verändert hat. Ich muss nur Fotos sehen (was man in der Antike nicht konnte), und ich möchte mal wieder vorbeikommen.

Tiberius, der auf Rhodos oft Besuch empfing, wusste, dass er auf der Insel unter Beobachtung stand und Augustus über sein Leben dort unterrichtet wurde. Er lebte deshalb sehr einfach, hatte keine Leibwachen, keine Liktoren und sonstige Eskorten um sich; den Griechen gegenüber war er sehr umgänglich und behandelte sie fast wie seinesgleichen.

Nicht immer gelang es ihm, sich zurückzuhalten. Zwei Gelehrte stritten sich, und als Tiberius für einen der beiden Partei ergriff, wurde er von dem anderen verspottet und beschimpft, worauf er nach Hause ging. Allerdings kam er mit seinen Liktoren zurück (die sich also doch zu seiner Verfügung hielten), ließ den, der ihn beschimpft hatte, ergreifen, vor Gericht stellen und schließlich in den Kerker werfen.

Thrasyllos, der nicht nur Astrologe, sondern Universalgelehrter war (wie viele Gelehrte der Antike), war auf Rhodos und auch später engster Begleiter des Tiberius. Außerdem gab es einen Grammatiker Diogenes, mit dem es einige Schwierigkeiten gab: Diogenes hielt seine Vorträge alle sieben Tage. Als Tiberius ihn bat, eine Vorlesung früher zu halten, ließ ihm Diogenes durch einen Sklaven ausrichten, er solle bitte am siebenten Tag zur Vorlesung kommen. Tiberius trug ihm die Abfuhr nach. Als er wieder in Rom war und der Gelehrte ihn aufsuchen wollte, ließ Tiberius ihm ausrichten, er solle nach sieben Jahren wiederkommen.

Es wird vermutet, dass der Konsular Cocceius Nerva (Großvater des späteren Kaisers) und der Ritter Curtius Atticus zusammen mit Tiberius auf Rhodos weilten. Beide galten als treue Freunde. Genaues über seine römischen Begleiter ist leider nicht überliefert.

Tiberius war für fünf Jahre lang Volkstribun, hatte also auf Rhodos auch ein Amt inne. Es ist überliefert, dass er eines Morgens beschloss, alle Kranken in der Stadt zu besuchen. Dieses Vorhaben wurde von seinen Begleitern missverstanden, die daraufhin die Anweisung gaben, alle Kranken sollten in eine Halle transportiert werden, wo er sie dann aufsuchen würde. Tiberius war regelrecht schockiert. Er reagierte vorbildlich, ging zu jedem Einzelnen und entschuldigte sich für das, was geschehen war. Er konnte durchaus menschlich und angemessen reagieren, und vielleicht fiel ihm das auf Rhodos, abseits von Rom, auch leichter.

Literatur:

Holger Sonnabend: Tiberius, Kaiser ohne Volk, Zabern-Verlag, 2021

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