Projektrecherchen über das Römische Imperium und seine Nachbarn, Persönlichkeiten und Gesellschaft
Sonntag, 3. Oktober 2021
Die Ehen des Tiberius
Tiberius, Stiefsohn des Augustus, heiratete als junger Mann Vipsania Agrippina, eine Tochter des Agrippa, engster Freund und Helfert des Princeps. Eine Ehe innerhalb der römischen Aristokratie wurde frühzeitig arrangiert und diente der Festigung verwandtschaftlicher und politischer Beziehungen. Die Ehe zwischen Tiberius und Vipsania ist ein Beispiel dafür, dass da durchaus Harmonie, Zuneigung und Liebe wachsen konnten. Ein Glücksfall für Tiberius, der keine unproblematische Kindheit hatte: die Eltern waren mehrmals auf der Flucht, und schließlich kam es zur Scheidung; Livia heiratete Octavian, den späteren Kaiser Augustus.
Sueton fasst die Ereignisse folgendermaßen zusammen:
„Er heiratete die Agrippina, eine Tochter des Marcus Agrippa …; allein nachdem sie ihm einen Sohn Drusus geboren hatte, sah er sich gezwungen, dieselbe, obschon er gut mit ihr lebte und sie aufs Neue von ihm schwanger war, zu verstoßen, und unmittelbar darauf die Julia, die Tochter des Augustus, zu heiraten, was er nicht ohne großen Kummer tat, da er sehr an Agrippina hing, während der Charakter der Julia ihm zuwider war, die, wie er wusste, schon zu Lebzeiten ihres Mannes ihr Absehen auf ihn gehabt hatte. … Er empfand auch nach der Scheidung fortwährend Schmerz darüber, dass er die Agrippina verstoßen hatte, und das einzige Mal, wo er sie bei einer zufälligen Begegnung erblickte, schaute er ihr so mit starren und tränenvollen Augen nach, dass man von der Zeit an darüber wachte, dass sie ihm nie wieder zu Gesichte kam. Mit der Julia lebte er anfangs einträchtig und in gegenseitiger Neigung; bald aber zerfiel er mit ihr so heftig, dass er sich für immer von ihrem Lager schied, sogar nachdem das Pfand ihrer gegenseitigen Liebe, ein Sohn, der, zu Aquileia geboren, als Kind starb, ihnen entrissen worden war.“
Was war geschehen? Agrippa, Julias Gatte, war gestorben, und sie, die Mutter der beiden Thronfolgekandidaten, musste erneut verheiratet werden. Der Mann an ihrer Seite musste der Dynastie eng verbunden und absolut loyal sein. Nur Tiberius kam als angemessener Gatte in Frage. Augustus hatte kein Interesse daran, jemanden außerhalb der engen Familie in eine derartig sensible Position zu bringen. Tiberius hat sich in diese für ihn persönlich sehr ungünstige Entscheidung gefügt; er hatte, wollte er sich nicht gegen Augustus stellen, keine andere Wahl. Doch die Erzählung Suetons offenbart, dass ihn diese Ehe ins Unglück stürzte. Gerade er, der Zeit seines Lebens nur mit wenigen guten Beziehungen gesegnet war, musste Vipsania, mit der er in Glück und Harmonie gelebt hatte, umso mehr vermissen. Julia, Mutter der beiden Caesaren, kann ihm deutlich gemacht haben, dass er nie an der Spitze des Staates stehen würde – dafür waren ja Gaius und Lucius vorgesehen. Anfangs gaben sich beide Mühe, aber dann müssen, außer dem Tod des gemeinsamen Kindes, noch andere Ereignisse eingetreten sein, die Tiberius dazu brachten, sich von seiner Frau abzuwenden.
Sein Verhältnis zu Gaius und Lucius, die nun seine Stiefsöhne waren, war auch nicht das beste. Er, der Ältere, erfahrener Politiker und Feldherr, musste sie achten. Wer weiß, wie sich die jungen Burschen ihm gegenüber verhielten. Sueton berichtet:
„Mitten in diesem auf ihn einströmenden Glücke (bezogen auf seine Erfolge im Staatsdienst) fasste er plötzlich in voller Kraft des Lebensalters und der Gesundheit den Entschluss, vom Schauplatze abzutreten und sich möglichst weit von der Öffentlichkeit zurückzuziehen: man weiß nicht, ob aus Widerwillen gegen seine Gemahlin, die er weder anzuklagen, noch zu verstoßen wagte und mit der zu leben er doch nicht länger ertragen konnte…“ (Sueton, Kaiserbiografien)
Tiberius hatte beschlossen, sich nach Rhodos zurückzuziehen, wo er sieben Jahre verbrachte. Er war fertig mit der Welt, mit Rom, dem Kaiserhof und der ganzen unglücklichen Familiensituation. Er rebellierte. Weder Augustus, noch seine Mutter Livia konnten ihn umstimmen. Um seine Entscheidung zu bekräftigen, trat er in einen viertägigen Hungerstreik. Und als ihm die Erlaubnis zur Abreise gegeben wurde, ließ er sich auch durch ungünstiges Wetter nicht abhalten und fuhr von Ostia aus nach Rhodos. Auch das ist ein interessanter Themenkomplex, dem ich mich noch genauer zuwenden werde.
"Im selben Jahr starb Julia … Einst, als Gaius und Lucius Caesar (ihre beiden Söhne, Enkel des Augustus) ihre ganze Hoffnung waren, war sie die Gattin des Tiberius gewesen und hatte ihn als nicht ebenbürtig verschmäht. Kein anderer Grund lag tiefer in Tiberius Seele, weshalb er sich nach Rhodus entfernte". "Gleiche Ursache lag in seiner Grausamkeit gegen Sempronius Gracchus zugrunde, der aus edlem Geschlecht, geistreich … eben diese Julia in ihrer Ehe mit Marcus Agrippa entehrt hatte. Und damit hatte das in unzüchtige Verhältnis noch kein Ende. Als sie dem Tiberius zur Gattin gegeben worden war, entflammte sie der beharrliche Ehebrecher mit Trotz und Hass wider ihren Gemahl, und der Brief, welchen Julia ihrem Vater Augustus zur Verunglimpfung des Tiberius schrieb, wurde für ein Werk des Gracchus gehalten " (Tacitus, Annalen, V,3).
Julia war während des Aufenthaltes des Tiberius auf Rhodos von Augustus in die Verbannung geschickt worden. Sie führte einen sehr lockeren Lebenswandel, was der Kaiser nach Erlass seiner Sittengesetze nicht mehr tragbar fand. In Folge dieses Ereignisses wurde auch der Dichter Ovid verbannt, der wohl in Julias Kreis verkehrte. Glaubt man Tacitus, hat Julia sowohl Agrippa, als auch Tiberius betrogen. Tiberius setzte sich für sie in mehreren Briefen an Augustus ein: eine sehr ritterliche Haltung, da ihr Verhältnis vor seiner Abreise nicht das Beste gewesen war und sie faktisch nicht mehr zusammenlebten.
Nach der Scheidung von Julia heiratete Tiberius nicht mehr. Ich frage mich, ob Augustus und Livia noch versuchten, wieder etwas zu arrangieren, ob es ihre Entscheidung war, dass er fortan ledig blieb, oder ob es sein eigener Wunsch war. Von einer Konkubine oder anderen engeren Beziehungen ist nichts bekannt. Von seinen sogenannten Ausschweifungen auf Capri wird später die Rede sein.
Literatur:
Suetons Kaiserbiographien, Langscheidtsche Bibliothek, Band 106, 1914
Publius Cornelius Tacitus: Sämtliche Werke, Magnus Verlag, Essen, 2004, ISBN 3-88400-005-5
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