Sonntag, 27. Februar 2022

Caprineus auf Capri: Was trieb der Kaiser dort?

Der Kaiserbiograf Sueton überliefert, dass Tiberius in Anlehnung an den Namen der Insel Capri Caprineus, der Ziegenbockige, genannt wurde. Es gibt zwei Hypothesen über den Ursprung des Namens der Insel. Caper bzw. Capra in der weiblichen Form würde „Ziegeninsel“ bedeuten, oder aber man geht von einer griechischen Namensgebung aus: kapros, d.h. Eberinsel. Es gab dort in der Antike sowohl Ziegen als auch Wildschweine, aber da Capri von Griechen besiedelt wurde, ehe die Römer kamen, spricht einiges für deren Bezeichnung. Die Römer blieben bei ihrer Version und hatten ihre Freude an anzüglichen Wortspielen über den unbeliebten Kaiser. „Der alte Bock beleckt die Ziegen“, war damals ein geflügeltes Wort.

Sueton berichtete, dass Tiberius in der Vergangenheit seine Laster verborgen hatte, aber ihnen auf Capri freien Lauf ließ. Er war kein Kostverächter, nahm auch gerne mal an längeren Gelagen teil und soll sich von einem seiner Gastgeber gewünscht haben, von nackten Sklavinnen bedient zu werden. Das ist nichts Ungewöhnliches für einen römischen Aristokraten. Aber auch Frauen vornehmer Herkunft soll er missbraucht haben, was wiederum im Gegensatz zu seiner eher konservativen Haltung stand. Seine erste Frau Vipsania liebte er. Mit Julia hingegen, der Tochter des Augustus, die er heiraten musste, hatte er schon deshalb Probleme, weil sie ihn begehrt haben soll, als sie noch Ehefrau des Agrippa war. Es ist schwierig, aus all den Gerüchten und Intrigen herauszulesen, ob Tiberius ein Ehrenmann war, ob er es für selbstverständlich hielt, sich zu nehmen, was er wollte – oder ob er charakterlich eine Mischung aus beidem war.

Sueton wusste noch mehr zu erzählen. Er schrieb für ein Publikum, das Skandalgeschichten lesen wollte. Das Problem mit den antiken Quellen ist die Tatsache, dass wir nur sie haben. Man kann sie auch nicht als Unsinn abtun. Doch gerade beim Thema „Tiberius auf Capri“ ist Vorsicht geboten. Der Kaiser war verhasst, weil er sich Rom, der Oberschicht und seinem Volk entzogen hatte. Ein Teil der Aristokratie mag gehofft haben, nach Augustus würde wieder der Senat herrschen. Doch mit Tiberius wurde der Principat eine Erbmonarchie. Die Abneigung gegen den Kaiser und die blühende Phantasie seiner Zeitgenossen erschufen Geschichten, die den Ruf des Tiberius bis heute belasten.

Der Kaiser soll in Wäldchen, aber vor allem in Grotten der Insel sogenannte „Venusplätze“ eingerichtet haben, wo als Nymphen und Panisken verkleidete junge Leute zu Wollust, also Sex, einluden. Es ist erwiesen, dass Tiberius in Grotten Nymphäen einrichten ließ. Er besaß eine Villa auf dem Festland bei Sperlonga mit einer solchen Grotte, wo er und seine Gäste von Steinschlag überrascht wurden. Die berühmte „blaue Grotte“ auf Capri war bereits zur damaligen Zeit ein Nymphäum, also ein Heiligtum. Aber die Vorstellung von ungehemmtem Sex an solchen Plätzen war reizvoller als die Fakten. Grundsätzlich ist es natürlich möglich, dass sich junge Leute an solchen Orten zur Liebe verabredeten.

Tiberius soll sein Schlafzimmer mit Bildern erotischer Darstellungen geschmückt haben. Auf Capri, so erzählt Sueton, hatte er ein Sofazimmer, wo junge Mädchen und Lustknaben zu dritt ausgefallene Beischlaftechniken praktizieren mussten, während der alte Mann (er war in den Siebzigern) zusah und sich daran ergötzte. Man kann so etwas nicht ausschließen, aber ganz sicher war ein solcher Raum, sollte er existiert haben, nicht der Hauptaufenthaltsort des Kaisers.

Was Sueton daraufhin zum Besten gab, fiel ihm schwer zu erzählen, oder eher, die Erzählung erzeugte einen wohligen Schauer in ihm. Beim Baden soll er sich mit kleinen Jungs umgeben haben, die er seine „Fischchen“ nannte. Sie mussten ihm um die Hüften streichen, ihn lecken und beißen. Und von Kindern, die noch nicht der Mutterbrust entwachsen waren, ließ er sich am Glied und an den Brustwarzen saugen. Schließlich sei er in seinem Alter zu keinem normalen Sexualverhalten mehr in der Lage gewesen.

Derartige Geschichten sind dafür verantwortlich, dass der berühmteste Bewohner der Insel auch heute als ihr Dämon gilt. Geschichtswissenschaftler wiesen immer wieder darauf hin, dass Sueton kritisch gelesen werden muss. Im Jahr 1899 ließ sich der aus Amerika stammende Rechtsanwalt Thomas Spencer Jerome auf Capri nieder und beschäftigte sich mit der Geschichte der römischen Kaiserzeit. Er kam zu der Ansicht, dass die antike Überlieferung Tiberius zu Unrecht verunglimpfte. 1912 beantragte er beim Stadtrat von Capri, eine Ehrentafel für den Kaiser öffentlich anbringen lassen zu können, für die er schon Spendengelder gesammelt hatte. Es gab erbitterten Widerstand aus allen Schichten der Bevölkerung, und nach dreijährigem Kampf in dieser Sache starb Jerome, ohne Erfolg gehabt zu haben. Erst 1985 genehmigte der Stadtrat die bescheidene Rehabilitation des Kaisers. Die Tafel ist an einem Torturm angebracht und man sieht sie, wenn man mit der Standseilbahn von der Marina Grande hinauf nach Capri fährt.

Literatur:

Dieter Richter: „Die Insel Capri. Ein Porträt“, Verlag Warenbach, Berlin, 2018, ISBN 978 8031 2795 2

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