Freitag, 11. Februar 2022

Wenn der Kaiser auf eine Insel zieht

Zwölf Villen soll Augustus auf Capri besessen haben. Die Insel war, vermutlich in seinen letzten Lebensjahren, ein Ort, wo er sich gern aufhielt. Apragopolis, Ort des Müßigganges, so nannte sie der Princeps. Bei einem dieser Aufenthalte mag Tiberius ebenfalls Gefallen an Capri gefunden haben. Kurz vor dem Tod des Augustus war er mit ihm zusammen dort.

Der Umzug nach Capri ging völlig unspektakulär vor sich: Tiberius hielt sich 27 n. Chr. in Kampanien auf, weihte in Nola, dem Sterbeort des Augustus, einen Tempel – und setzte nach Capri über. Nach Rom sollte er nie wieder zurückkehren. Doch die Vorbereitungen zum Umzug müssen vorher erfolgt sein. Ein Kaiser reiste niemals spontan „mit kleinem Gefolge“.

Nicht alle antiken Bauwerke können heute lokalisiert werden. Die ersten Ausgrabungen auf Capri waren vor allem Raubgrabungen. Die Einheimischen trugen antike Hinterlassenschaften ab und verbauten sie neu – wie das an vielen Orten in Europa geschah. Neben den Villen soll es eine Ephebenschule, ein sogenanntes Gymnasion, gegeben haben, wo sich die jungen Männer durch sportliche Übungen auf den Militärdienst vorbereiteten. Außerdem gab es eine Rennbahn, ein Hippodrom, über deren Lage ebenfalls nichts bekannt ist.

Die Villa Jovis war eine Residenz. Tiberius muss seinen Rückzug nach Capri Jahre vor dem eigentlichen Umzug geplant haben. Die Villa Damecuta in Anacapri ist vielleicht schon früher gebaut oder ausgebaut worden. Sie befindet sich oben auf dem Steilufer mit einem wunderschönen Ausblick auf das Meer und die Inseln Ischia und Procida. Tiberius hatte Geschmack und eine Vorliebe für spektakuläre Landschaften. Auch diese Villa verfügte über einen langen Wandelgang entlang an der Küste, der zum eigentlichen Gebäude führte. Dieses war langgezogen und öffnete sich mit einer großen, halbkreisförmigen Nische, einem sogenannten Hemizyklium, Richtung Meer. Auch die Villa Jovis hatte ein solches Hemizyklium.

Die Villa Damecuta kann man sich als Sommerresidenz gut vorstellen. Vielleicht war sie der bevorzugte Aufenthalt des Tiberius, ehe er in die Villa Jovis einzog. Eine römische Villa befand sich im Süden der Insel auf den Felsen des Castiglione, eine weitere bei Tragara – womöglich Aufenthaltsorte im Winter. Aber darüber kann man nur spekulieren. Tiberius hatte zwar ausdrücklich verfügt, dass man ihn auf Capri in Ruhe lassen sollte. Dennoch empfing er Gäste, hohe Beamte und Persönlichkeiten seiner Zeit. Einer dieser Gäste war M. Julius Agrippa, ein Enkel des jüdischen Königs Herodes des Großen, der in Rom am Kaiserhof aufgewachsen war. Er durfte zeitweise in einer der Villen des Kaisers auf Capri wohnen, ehe er in Ungnade fiel. Doch davon ein andermal.

Wie Humbert Kesel, Chronist der Insel Capri, ganz richtig anmerkte, mussten der Kaiser, sein Gefolge und seine Dienerschaft auf der Insel versorgt werden. Das war vom Festland aus möglich. Je nach Witterung konnten Schiffe entweder an der Marina Piccola im Süden oder am nördlichen Hafen etwas abseits der Marina Grande anlegen. Noch heute wird Trinkwasser von Neapel aus nach Capri befördert. Auch für die damalige Zeit ist das denkbar. Selbstverständlich wurden auch Baumaterial, Getreide, Obst, Gemüse, Delikatessen, Wein nach Capri gebracht, anders konnte die Versorgung eines Personenkreises, der in Luxus zu leben gewohnt war, gar nicht gewährleistet werden. Wie es mit der Müll- und Abfallentsorgung damals aussah, möchte man sich nicht so genau vorstellen.

Es liegt nahe, dass auf der Insel Obst und Gemüse angebaut und Vieh gehalten wurde, das Eier, Milch und auch Fleisch lieferte. Die kaiserlichen Villen waren immer von Gärten umgeben. An den heutigen Bagni di Tiberio gab es Aufzuchtbecken für Fische. Der Kaiser aß besonders gerne Gurken und ließ sie in Treibhäusern ziehen. Außerdem mochte er Kürbisse, Birnen, Spargel und getrocknete Weintrauben. Auch dem Wein war er nicht abgeneigt. Als junger Mann im Feldlager trank er gern unvermischten Glühwein. Alles in allem kann die kleine Insel Capri aber keinen kompletten Hofstaat verpflegt haben, es waren Importe nötig.

Augustus weilte, wenn er auf Capri war, gerne in Gesellschaft der Einheimischen, aß mit ihnen und verteilte Geschenke. Ob Tiberius ebenso gesellig war, darf bezweifelt werden. Dennoch muss es zu Begegnungen gekommen sein, zufällig oder absichtlich. Es ist überliefert, dass ein Fischer mit einem prachtvollen Fang über die Klippen zum Kaiser hinauf stieg und es schaffte, zu ihm vorzudringen, worüber sich dieser sehr erschreckte. Zur Strafe ließ Tiberius dem Mann mit dem Fisch das Gesicht zerkratzen. Diese Anekdote bringt Sueton als Beweis für die Grausamkeit des alten Mannes vor. Doch man muss sich vergegenwärtigen, dass der Fischer, wenn es denn wirklich geschehen ist, vorsätzlich in einen Hochsicherheitsbereich eingedrungen war. Die Reaktion des Kaisers sprach für sich – er rechnete nicht damit und erschrak sehr. Da ist die Strafe, die der Mann empfing, doch eher als harmlos zu werten.

Angeblich befand sich die Hinrichtungsstätte, wo Tiberius Leute, die ihm im Wege waren, erst foltern und dann die Klippen hinunter stoßen ließ, in unmittelbarer Nähe der Villa Jovis. Waren die Unglücklichen durch den Aufprall noch nicht umgekommen, lauerten Marinesoldaten auf Schiffen in der Nähe, um sie mit Stangen zu erschlagen. Diese Geschichte ist aus mehreren Gründen unwahrscheinlich. Die Klippen am sogenannten Salto di Tiberio sind so hoch, dass es keiner „Nachbearbeitung“ durch Soldaten bedurfte. Wer dort hinabstürzte, war mit Sicherheit tot. Man könnte die Variante mit den Marinesoldaten irgendwo lokalisieren, wo die Felsen weniger hoch waren, doch was wäre der Sinn gewesen, wenn man die Delinquenten auch dort hinabstürzen konnte, wo sie mit Sicherheit umkamen? Außerdem war es für Schiffe nicht ungefährlich, sich der Steilküste zu nähern. Gegen die Nähe zur Villa Jovis spricht aber auch die Tatsache, dass Tiberius dort Ruhe und Frieden suchte. Wer sich an einem so vollkommenen Ort des Rückzugs niederlässt, baut sich doch keine Hinrichtungsstätte unter den Balkon!

Es muss Unterkünfte für die Gardesoldaten gegeben haben, die sich nicht im Wachdienst beim Kaiser befanden. Dort kann man sich ein Gefängnis vorstellen, das allein schon aus Sicherheitsgründen existiert haben muss, und vielleicht gab es auch eine Hinrichtungsstätte auf einer Klippe. Womöglich ist auch mal jemand in der Nähe der Villa Jovis hinunter gestürzt worden. Aber an regelmäßige Hinrichtungen am Salto di Tiberio glaube ich nicht.

Ein weiteres Thema sind die angeblichen Ausschweifungen des Kaisers auf Capri, denen ich mich noch widmen werde.

Literatur:

Humbert Kesel: „Capri-Biografie einer Insel“, Prestel-Verlag 1971, ISBN 3 7913 0007 5

Suetons Kaiserbiographien, Langscheidtsche Bibliothek, Band 106, 1914

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