Freitag, 10. März 2023

Die Herkunft des Lucius Aelius Seianus

Seianus oder Seian/Sejan, der Prätorianerpräfekt (d.h. Kommandant der Garde) des Kaisers Tiberius zählt zu den berüchtigten Persönlichkeiten der Antike. Über ihn wurde nichts Gutes überliefert, was daran liegt, dass er zum Tode verurteilt und geächtet wurde, aber die Überlieferung ist auch der manipulativen Darstellung des Tacitus geschuldet.

Seian stammte aus einer ritterlichen Familie. Sein Vater Seius Strabo war Gardepräfekt des Augustus, d.h., er hatte den Höhepunkt der ritterlichen Laufbahn erreicht. Sein Sohn Lucius wurde von einem Mann namens Aelius adoptiert. Die Aelier waren eine angesehene Plebejer-Familie Roms. Aus einem Zweig dieser Familie stammte später Kaiser Hadrian.

Seius Strabo stand Augustus und seiner Familie sehr nahe; er hatte eine absolute Vertrauensstellung inne. Wahrscheinlich führte er seinen Sohn schon in jungen Jahren in die kaiserliche Familie ein. Lucius war vielleicht im gleichen Alter wie der Enkel des Augustus, Gaius Caesar. Die beiden freundeten sich an. Man kann davon ausgehen, dass der junge Seian militärische Erfahrungen sammelte, höchstwahrscheinlich als ritterlicher Tribun der städtischen Militäreinheiten. Ein künftiger Gardepräfekt hatte zuvor üblicherweise den Oberbefehl über Stadtkohorten (Polizei) oder die Feuerwehr.

Im Jahr 14 wurde Lucius Aelius Seianus zweiter Prätorianerpräfekt an der Seite seines Vaters. Oft gab es zwei Gardepräfekten. Römische Ämter wurden gewöhnlich kollegial ausgeübt. Reduziert man die Beschreibung des Tacitus auf die Fakten, dann war Seian körperlich leistungsfähig, gutaussehend, loyal und ehrgeizig. Erwartet man von einem Mann seiner Position etwas Anderes? Augustus muss ihm absolut vertraut haben, immerhin hing das Leben des Kaisers vom Gardepräfekten und seiner Mannschaft ab.

Gaius Caesar wurde mit Livilla verheiratet, die sehr schön gewesen sein soll. Sie war eine Nichte des Tiberius, Tochter seines Bruders Drusus. Als enger Freund des Prinzen kannte Seian auch dessen Gattin und vielleicht fühlte er sich schon damals zu ihr hingezogen. Später bat er Tiberius, sie heiraten zu dürfen, aber dieser lehnte ab. Er wusste, was er Seian verdankte, und antwortete ihm höflich und voller Zuneigung, aber er zog damit eine Grenze.

Leider starb Gaius Caesar jung, wie auch sein Bruder Lucius, worüber Augustus untröstlich war. Ihm blieb keine andere Wahl, als schließlich Tiberius zum Nachfolger zu ernennen. Er, der nie dafür vorgesehen war, war auch nicht wirklich für die Herrschaft geeignet, was für den Staat ebenso tragisch sein sollte wie für ihn selbst und seine Familie.

Tiberius war jedoch ein kluger, rational urteilender Mensch und Politiker und übernahm Seian als Prätorianerpräfekten. Tacitus behauptet, Seian hätte Tiberius durch diverse Tricks und Täuschungen für sich eingenommen, aber einen so Verstandesmenschen täuschte man nicht einfach so. Wahrscheinlich hatte Cassius Dio Recht, der überliefert, dass Tiberius und Seian wesensverwandt waren und deswegen ein immer engeres Vertrauensverhältnis aufbauten.

Tiberius fühlte sich von seinem Amt, der Herrschaft, überfordert, und der Senat wollte ihm nicht helfen. Also stützte er sich auf denjenigen, der ihm hilfreich und vertrauenswürdig schien. Das ging auch eine Weile gut.

Es ist schwierig, Seian objektiv zu beurteilen, weil seine Zeitgenossen ein vernichtendes Urteil über ihn gefällt haben. Die Überlieferung ist voreingenommen. Ein Teil des Hasses, der den verurteilten Seian traf, galt wohl dem Kaiser selbst und wurde auf dessen langjährigen Helfer projiziert. Wahrscheinlich war das auch Tiberius bewusst und er opferte Seian, um selbst zu überleben.

Literatur:

Meinhard-Wilhelm Schulz: Seianus und Tiberius, Der Romankiosk, Winthirstr. 11, München

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