Projektrecherchen über das Römische Imperium und seine Nachbarn, Persönlichkeiten und Gesellschaft
Samstag, 8. April 2023
Die jüngere Antonia, Livilla und Seian
Es ist nicht ganz einfach, sich in der Julisch-Claudischen Dynastie zurechtzufinden. Ich bin im Trajan-Blog schon einmal auf die Familie des beliebten Germanicus eingegangen. Sein Vater war der relativ jung verstorbene ältere Drusus, Bruder des späteren Kaisers Tiberius. Seine Mutter war Antonia die Jüngere (sie hatte auch eine ältere Schwester), und diese war Tochter des berühmten Marcus Antonius und der Octavia, Schwester des Augustus.
Antonia war im Jahr 36 v. Chr. geboren und starb im Jahr 37 n.Chr., während der Herrschaft ihres Enkels Caligula. Neben Germanicus hatte sie einen weiteren Sohn, Claudius, der nach Caligula Kaiser wurde und den sie verabscheute, und außerdem eine Tochter Claudia Livia Julia, genannt Livilla. Nach dem Tod des älteren Drusus im Jahr 9 v.Chr. heiratete Antonia nicht mehr, lebte aber weiterhin am Hof in Rom.
Livilla war um 13 v.Chr. geboren und heiratete zunächst Gaius Caesar, den Enkel des Augustus, der um 20 v. Chr. geboren war und leider schon 4 n.Chr. starb. Sie war Gattin eines der potentiellen Nachfolger des Augustus gewesen und sollte wieder Gattin eines solchen (potentiellen) Nachfolgers werden: des jüngeren Drusus, Sohn des Tiberius und der Vipsania Agrippina, seiner ersten Ehefrau, mit der er glücklich zusammen lebte. Drusus und Livilla hatten drei Kinder: eine Tochter Julia und später noch die Zwillinge Tiberius Gemellus und Germanicus Gemellus, der ganze Stolz des Kaisers, der überschwänglich im Senat ausrief, dass dies zum ersten Mal in der kaiserlichen Familie geschah. Das war einer der wenigen Glücksmomente im Leben des Tiberius, als er meinte, dass nun auch die Nachfolge für ihn über zwei Generationen gesichert war. Leider war dieses Glück nicht von Bestand. Germanicus Gemellus und sein Vater Drusus starben im gleichen Jahr 23 n.Chr. Augustus hat den frühen Tod seiner beiden Enkelsöhne nie überwunden, und man kann davon ausgehen, dass auch Tiberius tief getroffen vom Verlust seines Sohnes und seines Enkels war – obwohl er das nicht offen zeigte.
Solche tragischen, frühen Todesfälle ereigneten sich in der Antike immer wieder, weil man Krankheiten jeglicher Art oft hilflos gegenüber stand. In einer Erbmonarchie, wie sie in Rom nun bestand, erregten diese Fälle großes Aufsehen und oft wurde über Giftmord im Auftrag eines Konkurrenten spekuliert. So glaubte Germanicus selbst, während seines Aufenthaltes in Syrien vom verfeindeten Piso vergiftet worden zu sein. Tatsächlich war er aber krank gewesen. Und auch im Falle des Drusus, der vor seinem Tod ebenfalls krank war, wurde nachträglich ein Schuldiger bestimmt. Seian hatte sich mit Livilla verschworen, um Drusus zu beseitigen, der seinen eigenen Herrschaftsplänen im Wege stand, denn er war nun einmal der Stellvertreter und Nachfolger des Kaisers. Der Arzt des Drusus half dabei, seinen Herrn allmählich zu vergiften.
Seian hatte ein Auge auf die hübsche und vornehme Livilla geworfen und begehrte sie ja auch zur Frau. Er war von seiner Gattin Apicata geschieden und wurde Livillas Geliebter. Die Verschwörung gestanden später Apicata und der Arzt des Drusus nach dem Sturz des Seian.
Das Verhältnis zwischen Drusus und Seian soll nicht besonders gut gewesen sein, obwohl Seian ja anfangs in Pannonien Mentor und Helfer des Kaisersohnes gewesen war. Drusus hatte ein aufbrausendes Wesen und soll bei einer Handgreiflichkeit Seian geohrfeigt haben. Womöglich war er auch in Sorge über den wachsenden Einfluss des Präfekten. Diese Sorgen hatten wahrscheinlich auch Livia und Antonia.
Man kann es nicht ausschließen, dass Seian tatsächlich so weit ging und Drusus beseitigte. Ich halte es aber für unwahrscheinlich, schon deswegen, weil auch die Quellen von der Krankheit des Drusus berichteten. Es gelang ihm jedenfalls nicht, nach dessen Tod Livilla zu heiraten. Tiberius lehnte seine Bitte höflich ab und verwies darauf, dass es auch Antonia nicht recht sein würde. Das Verhältnis zwischen Tiberius und Antonia war zeitlebens gut. Sie sollte dann auch diejenige sein, die ihn vor einem Staatsstreich des Seian warnte. Ob er diesen nun plante oder nicht, werden wir nicht mehr herausfinden.
Antonia war, wie Hildegard Temporini in ihrem sehr empfehlenswerten Buch „Die Kaiserinnen Roms“ schrieb, nach dem Tod der Livia im Jahr 29 n.Chr. die erste Dame Roms. Sie war eng mit Berenike befreundet, der Nichte Herodes des Großen, Mutter des jüdischen Königs Agrippa I. und Großmutter der Geliebten des Kaisers Titus. Mitsamt ihrer Familie hatte Berenike ihren Schwiegersohn nach Rom begleitet, der von Augustus als Klientelkönig von Judäa eingesetzt wurde. Berenike blieb in Rom, und ihr Sohn Agrippa wuchs zusammen mit Drusus, dem Sohn des Tiberius, und Claudius, dem späteren Kaiser, auf. Antonia hat diese Familie auch finanziell unterstützt. Nach der Verbannung ihrer Schwiegertochter Agrippina lebte ihr Enkel Gaius Caesar Germanicus, der spätere Kaiser Caligula, bei ihr – ehe Tiberius ihn nach Capri beordete. Eine Freigelassene der Antonia, Antonia Caenis (eine Sklavin erhielt bei ihrer Freilassung den „Familien“- Namen der Herrin) wurde später Konkubine des Kaisers Vespasian. Sie war Sekretärin ihrer Herrin und soll den Brief an Tiberius geschrieben haben, in dem der Staatsstreich des Seian angezeigt wurde. Ihre Geschichte wurde von Lindsey Davis in einem sehr lesenswerten Roman behandelt.
Literatur:
Hildegard Temporini: „Die Kaiserinnen Roms“, Beck-Verlag, München, 2002, ISBN 3 406 495133
Meinhard-Wilhelm Schulz: Seianus und Tiberius, Der Romankiosk, Winthirstr. 11, München
Lindsey Davis: „Die Gefährtin des Kaisers“, Roman, Droemer Knaur, München 2001, ISBN 3-426-63108-3
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen