Projektrecherchen über das Römische Imperium und seine Nachbarn, Persönlichkeiten und Gesellschaft
Sonntag, 18. Juni 2023
Der Sturz Seians
Im Jahr 27 n.Chr. zog sich Tiberius nach Capri zurück. Schon 21/22 hatte er sich längere Zeit in Kampanien aufgehalten. Es gab mehrere Gründe dafür, und es ist auch möglich, dass Seian den Kaiser in diesem Entschluss bestärkt hat. Tiberius hatte stets Angst vor Verschwörungen, und diese Angst kann sich mit zunehmendem Alter verstärkt haben.
Seian war für Tiberius ein treuer, loyaler Helfer geworden, der ihm in vielerlei Hinsicht den Rücken frei hielt. Ein Vorfall stärkte Seians Position enorm. Beim heutigen Sperlonga befand sich eine Villa des Kaisers. Als er sich dort aufhielt und ein Bankett in einer Höhle stattfand, kam es zu einem Unglück. Steine stürzten von der Höhlendecke herab und begruben mehrere Menschen unter sich. Seian warf sich über Tiberius, um ihn zu beschützen. Dies war für den Kaiser ein Grund mehr, Seian absolut zu vertrauen, war er doch bereit gewesen, sein eigenes Leben für ihn zu geben – was im Grunde auch sein Job war.
Tiberius kümmerte sich von Capri aus weiter um Regierungsangelegenheiten. Man kann davon ausgehen, dass es regelmäßigen Schiffsverkehr zur Insel gab, wenn auch nicht in dem Maße wie heute, und man muss berücksichtigen, dass die Insel seit Augustus in kaiserlichem Besitz war und kein Unbefugter dorthin reisen durfte. Seian und seine Prätorianer schirmten den Kaiser ab und kontrollierten den Zugang zu ihm. Freilich gab es auch Bewohner der Insel, die dort schon immer gelebt hatten, und einer Anekdote nach soll es einem von ihnen gelungen sein, bis zu Tiberius vorzudringen und ihm einen Fisch als Geschenk zu überreichen. Der Kaiser war sehr erschrocken gewesen. Aber das war eine Ausnahme, wenn die Geschichte überhaupt wahr ist.
Zusätzlich war die Insel durch einen Signalturm mit dem gegenüberliegenden Ufer verbunden. Tiberius konnte jederzeit in Kontakt mit der im Golf von Neapel stationierten Flotte aufnehmen, und außerdem kam Seian regelmäßig zu ihm nach Capri, um Instruktionen zu empfangen. Keineswegs hatte er Tiberius entmachtet, aber er profitierte von der Stellvertreter-Position und war in Rom derjenige, der das Sagen hatte. Es ging so weit, dass ihm Statuen errichtet wurden, sein Geburtstag Feiertag war, er Münzen mit seinem Bildnis prägen ließ und er Empfänge gab, bei denen kein Senator fehlen wollte. Der Prätorianerpräfekt war Ritter, gehörte also dem zweiten Adel an und schon deswegen ist es sehr unwahrscheinlich, dass er selbst plante, Tiberius zu beseitigen und Princeps zu werden. Er besaß nicht das soziale Prestige dafür, was zu dieser Zeit aber unbedingt wichtig war.
Bei all dem muss Seian dienstbeflissen, angenehm und bescheiden aufgetreten sein, was ihm sogar Tacitus zugesteht, aber, wie so oft, wusste er, dass sich Seian nur so gab und in seinem Innersten skrupellos war und nach der Macht strebte. Viele Zeitgenossen müssen ihm das zugetraut haben, und beobachteten mit Sorge, wieviel reale Macht der Prätorianerpräfekt besaß. Zur Zeit des Tiberius wurde dieses Amt sehr bedeutsam und daran änderte sich auch mit der Verurteilung Seians nicht. Knapp fünf Jahre lang dauerte die Arbeitsteilung zwischen Tiberius und Seian. Als der Präfekt und der Kaiser (jener in Abwesenheit) gemeinsam Konsuln waren, hatte Seian den Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Doch nach ein paar Monaten zog sich Tiberius aus dem gemeinsamen Amt zurück. Dann ernannte Tiberius Macro, bisher Kommandant der Feuerwehr, zum Prätorianerpräfekten. Die Garde erhielt ein ordentliches Geldgeschenk – auch dies wurde zur Tradition. Mitten im Senat wurde Seian schließlich entmachtet und verhaftet. Tiberius soll sich keineswegs sicher gewesen sein, ob diese Aktion erfolgreich sein würde. Im Notfall soll er geplant haben, im Schutze von Truppen, wahrscheinlich der Flotte, in irgendeine Provinz (vielleicht Griechenland) zu flüchten, während in Rom Drusus, der Sohn der Agrippina, aus dem Kerker geholt und als Nachfolger präsentiert würde. Ob dies allerdings wirklich Absicht des Kaisers war, ist fraglich. Fakt ist: Tiberius war in der Lage gewesen, Seian zu stürzen.
Der Hass der Öffentlichkeit richtete sich gegen den, der lange Zeit Stellvertreter des Kaisers gewesen war. Seine Bildnisse wurden umgestürzt, sein Leichnam wurde drei Tage lang vom Volk geschändet, ehe er in den Tiber geworfen wurde. Auch seine Kinder wurden hingerichtet. Seine ehemalige Gattin sagte gegen ihn aus und beging Suizid. Livilla, einst Schwiegertochter des Tiberius, wurde beschuldigt, an Seians Intrigen beteiligt gewesen zu sein, und zum Tode verurteilt.
Ausschlaggebend für die Entmachtung Seians soll ein Brief von Antonia, der Witwe Drusus des Älteren, gewesen sein. Es ist möglich, dass sie sich Sorgen machte, auch Gaius (Caligula), der jüngste Sohn der Agrippina, könnte ein Opfer Seians werden. Der Argwohn gegenüber dem Präfekten war vermutlich auch auf dem Palatin gewachsen. Tiberius glaubte also Antonia, wenn diese Version der Ereignisse stimmt. Die Schreiberin des Briefes, Privatsekretärin der Antonia, war Caenis, die später Konkubine Kaiser Vespasians wurde.
Literatur:
Holger Sonnabend: „Tiberius, Kaiser ohne Volk“, Zabern-Verlag, 2021, ISBN 978-3-8053-5258-1
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